Erklärung zur Abstimmung über einen Einsatz der Bundeswehr in Syrien

Berlin, 04.12.2015 – Ich habe heute im Plenum des Bundestages für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gestimmt. Gerne möchte ich hier erklären, was mich dazu bewogen hat. Leider kann die Erläuterung bei einem so komplexen Thema nicht ganz kurz sein.

Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr ist Paris vom feigen Terror heimgesucht worden. Aber die Anschläge vom 13. November galten nicht Frankreich allein, sondern uns allen. Sie richten sich gegen unsere Werte und unsere Art zu leben, sich richten sich gegen Freiheit und Toleranz. Und wir wissen auch, und können es tagtäglich in den Nachrichten mit eigenen Augen sehen, dass in Syrien, im Irak, in Libyen oder in Tunesien die Barbarei des IS schon lange wütet. Viele der Menschen, die derzeit zu uns nach Europa fliehen, suchen Zuflucht vor genau diesem Terror, den der so genannte „Islamische Staat“ (IS) in ihrer Heimat verbreitet. Deshalb sollten wir, so jedenfalls meine Überzeugung, alle zusammenstehen, und diesem Terror auf breiter Front die Stirn bieten und auf allen Ebenen dazu beitragen – keineswegs nur militärisch – den IS zu stoppen und ein friedliches Zusammenleben in den betroffenen Regionen zu ermöglichen.

Die rechtlichen Grundlagen des durch den Bundestag beschlossenen Bundeswehr-Einsatzes in Syrien sind eindeutig und bereits in der Ausgestaltung des Mandatstitels benannt: „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Art. 42 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.“

Es gibt zudem einige – zugegeben politisch-technische – Faktoren, die jedoch wichtig für das Gesamtbild sind: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) hat nach den Pariser Terroranschlägen Resolution 2249 verabschiedet. Diese stellt klar, dass der IS eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit weltweit ist. Der Sicherheitsrat ruft die Staatengemeinschaft dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Resolution 2249 der UN ist ein Dokument der Entschlossenheit und der Geschlossenheit in der Terrorbekämpfung. Es ist natürlich selbstverständlich, dass alles, was die Bundesregierung tut, auf dem Boden des Völkerrechts und des deutschen Grundgesetzes geschieht. Die UN-Charta ermächtigt die Mitgliedstaaten in Art. 51 zur kollektiven Selbstverteidigung, und das deutsche Grundgesetz erlaubt in Art. 24 Abs. 2 den Einsatz von Streitkräften im Rahmen und nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit.

Mit den Erklärungen der Wiener Konferenzen vom 30. Oktober und 14. November 2015 wurde den Vereinten Nationen eine zentrale Rolle zugewiesen und der Weg für eine politische Konfliktregelung vereinbart. Dieser wichtige politische Prozess bezieht nicht die Terrorgruppe IS ein, die weder Verhandlungspartner sein will noch sein kann. Daher haben wir auch im letzten Jahr entschieden, die kurdische Regionalregierung im Nordirak in Abstimmung mit der irakischen Zentralregierung mit militärischer Ausbildung und Ausrüstung in ihrem Abwehrkampf gegen den IS im Irak zu unterstützen.

Unser Engagement, zum Frieden in der Konfliktregion beizutragen, geschieht auf drei Ebenen: zuvorderst durch die politischen Verhandlungen zur Konfliktlösung, zweitens durch regionale Stabilisierung – und drittens auch militärisch. Dazu gehört auch beispielsweise auch die Aufstockung der wichtigen UN-Friedensmission MINUSMA in Mali, die Deutschland mit Transportflugzeugen und maximal 150 Soldaten vor Ort unterstützt.

Für mich steht fest, dass es nur durch diesen breiten, dreigeteilten Ansatz möglich sein wird, den IS-Terror einzudämmen und künftige Terroranschläge in der Region und darüber hinaus wirkungsvoll zu unterbinden. Auf dieser Grundlage wird es hoffentlich möglich sein, endlich einen Weg zu finden, den brutalen Bürgerkrieg in Syrien mit über 250.000 Toten zu beenden und eine politische Regelung zu ermöglichen.

Was in der Berichterstattung gelegentlich etwas untergeht ist, dass wir bereits jetzt auch auf der zweiten Ebene, der Ebene der politischen und gesellschaftlichen Stabilisierung, tätig sind. Die muss gleich dort beginnen, wo Gebiete wieder aus den Klauen des IS befreit worden sind, wie in Tikrit oder erst kürzlich in Sindschar. Denn – und das zeigt der gescheiterte Irak-Krieg unmissverständlich: Nachhaltigen Frieden gibt es nur, wenn nach Konfliktsituationen wieder echte Lebensperspektiven für die Menschen in ihrer Heimat entstehen.

Das militärische Engagement ist und kann nur Teil einer breit angelegten Politik sein – aber nicht ihr Ersatz! So notwendig der militärische Kampf ist, so beharrlich arbeiten Frankreich und Deutschland, allen voran Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), auf politischer Ebene an einer Lösung. Er arbeitet jeden Tag daran, dass – gerade nach dem Vorfall an der türkisch-syrischen Grenze – die wichtigen internationalen Partner Russland und die USA wie auch die regionalen Akteure Türkei, Iran und Saudi-Arabien am Tisch bleiben. An die Stelle von Chaos und Anarchie, die eine Ausbreitung des IS erst möglich gemacht haben, muss eine regionale Ordnung treten. Das wird nur mit einer gemeinsamen Strategie gelingen.

Ich möchte euch noch eine ganz persönliche Erfahrung mit dem Krieg in Syrien und im Nordirak schildern, die ich und mein Büroteam im Sommer des Jahres 2014 gemacht haben. Wie viele von euch wissen, ist in Oldenburg der Zentralrat der Yeziden in Deutschland ansässig. Yeziden sind eine religiöse Minderheit mit mehreren hunderttausend Angehörigen, die ursprünglich im nördlichen Irak, in Nordsyrien und in der südöstlichen Türkei beheimatet sind. Sie werden vom IS in außerordentlich brutaler und menschenverachtender Weise verfolgt, ermordet und gefoltert, yezidische Frauen vergewaltigt und als Sklavinnen gehalten. Das UN-Menschenrechtshochkommissariat bezeichnet die Verbrechen des IS an den Yeziden deshalb zu Recht als Völkermord. Im August 2014 rückten IS-Terrorbrigaden in das Sindschar-Gebirge im Nordwestirak vor und kesselten mehrere 10 000 Yeziden ein. Daraufhin wandte sich der Vorstand der Yezidischen Gemeinde Deutschlands hilfesuchend und nicht ohne spürbare Verzweiflung an mich. Ich und mein Büroteam haben daraufhin beinahe den gesamten August teilweise bis zum späten Abend und in die Nacht hinein in zahllosen Telefonaten mit dem Auswärtigen Amt auf die drohende menschlichen Katastrophe hingewiesen und auf eine Lösung gedrängt. Auch deutsche Staatsbürger waren unten den eingeschlossenen, von Hunger, Durst, Hitze und dem Beschuss der IS-Milizen akut bedrohten Menschen. Erst durch Luftschläge der USA war es den kurdischen Peschmerga-Kämpfern schließlich möglich, einen schmalen Korridor „freizuschießen“, der den Eingeschlossenen die Flucht ermöglichte. Diese Tage im August 2014, die grenzenlos brutalen Videos der Gräueltaten des IS, die Telefonate mit dem Yezidischen Forum und die teilweise verstörenden Augenzeugenberichte habe ich bis heute nicht vergessen und sie haben mir dabei geholfen, die Notwendigkeit dieses Mandates zu akzeptieren.

Ich möchte deswegen ganz deutlich sagen: Mein Haupt-Beweggrund für die Zustimmung zu diesem Einsatz ist die aktive, gelebte Solidarität mit den Menschen vor Ort, die weiterhin täglich unter der unmenschlichen Herrschaft des IS zu leiden haben. Ich will verhindern, dass dieses Schreckensregime sich noch weiter ausbreitet und erhoffe mir, dass die Millionen Menschen, die noch im Herrschaftsbereich des IS leben, möglichst bald wieder ein Leben in Sicherheit, Freiheit und gewährleisteter Menschenwürde führen können.

In Anbetracht der über 6 Millionen Binnenflüchtlinge und über 4 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa müssen wir auch für diese Menschen weiterhin humanitäre Hilfe und die sogenannte Übergangshilfe leisten. Seit 2012 haben wir hierzu über 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Im Haushalt 2016, den ich als Mitglied des Haushaltsausschusses mitgestalte, haben wir den Ansatz für Humanitäre Hilfe und die zivile Krisenprävention um über 400 Millionen Euro erhöht. Unser Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region muss in Abstimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortgesetzt und wo möglich und nötig verstärkt werden.

Nach genauer Abwägung dieser Argumente und intensiven Gesprächen mit Kollegen, Bürgern und auch in meiner Familie habe ich diesem Einsatz der Bundeswehr in Syrien zugestimmt.

Ich hoffe, ich habe diese schwierige Entscheidung, die ich zu treffen hatte, damit hinreichend und überzeugend darlegen können. Ich bin auch dankbar an die, die mir zu dieser Entscheidung geschrieben haben. Direkt gewählt, direkt ansprechbar: Das ist mein Motto als Bundestagsabgeordneter und soll gerade bei einem solchen Thema auch weiterhin meine Devise sein.